Hass, Pixel und Metapolitik
Wie Rechtsextreme in Deutschland daran scheitern, Anschluss an die Gaming-Szene zu finden
von Matthias Heider und Dominik Lux
Metapolitik ist das Buzz-Word der Identitären Bewegung und anderer rechtsextremer Gruppierungen. Dabei setzen sie unter anderem auf ideologisierte kulturelle Produkte. Auch mit extremistischen Videospielen versuchen die Feinde der Demokratie die Gesellschaft zu unterwandern.
Am 01. Februar 2024 erschien das neuste Spiel des der Identitäten Bewegung nahestehenden Entwickler*innenstudios Kvlt Games.[1] Das Spiel soll laut des Entwicklers ein “klassisches, metapolitisches Projekt” sein, gemacht um “auf lustige, humorvolle, unterhaltsame Art und Weise” Inhalte und Botschaften zu vermitteln. Es spielt in einer dystopischen Zukunft und kann dem Genre Rough-lite zugeordnet werden: Die genutzte Retro-Pixeloptik ist bei Indie-Titeln beliebt und orientiert sich somit an gängigen Ästhetiken der Gaming-Szene. Die Spielwelt ist durchzogen von rechtsextremen Dog Whistles, die offenbar ein ideologisch bereits vorbelastetes rassistisches und antifeministisches Publikum ansprechen sollen, das sich in der Vergangenheit, z.B. im Fall von Gamer Gate, bereits als Nährboden für rechtsextreme Agitation erwiesen hat. Ob dieser neuste Aufschlag aus Deutschland tatsächlich eine ernstzunehmende metapolitische Gefahr darstellt, so wie es sich die Macher*innen erhoffen, soll dieser Beitrag klären.
Gaming als metapolitisches Terrain
Videospiele sind ein fester Bestandteil der Jugendkultur und werden auch von über der Hälfte der Erwachsenen in Deutschland zur Freizeitgestaltung genutzt. Sie bieten den Nutzer*innen eine Flucht in virtuelle Welten, können für Lern- und Bildungszwecke eingesetzt werden und vereinen häufig sehr diverse Communities in einem gemeinsamen Hobby. Inzwischen stellt die Games-Industrie die lukrativste Unterhaltungsbranche der Welt dar. Es ist jedoch wichtig, auch die problematischen Aspekte von Games und Gaming-Plattformen zu beleuchten – ohne sie direkt zu dämonisieren, wie es in der Killerspiel-Debatte Mitte der 00er-Jahre der Fall war (vgl. Sørensen, 2012). Denn nicht nur die Unterhaltungsindustrie hat das Potenzial von Gaming erkannt, auch rechtsextreme Gruppierungen versuchen, die Potenziale der digitalen Spiele für ihre Zwecke zu nutzen. Extremist*innen identifizieren die Gaming-Szene als fruchtbares Feld, sei es, um ihre Ideologie zu verbreiten, neue Anhänger*innen zu rekrutieren oder eine Gemeinschaft Gleichgesinnter aufzubauen. Dafür greifen Rechtsextreme eine breite Palette an Themen auf, darunter Migration, Verschwörungsideologien, Sexismus und Transfeindlichkeit. Dies ist Teil einer rechten Metapolitik. Die Idee der rechtsextremen Metapolitik hat ihren Ursprung in der Übernahme und Anpassung des Konzepts des italienischen Marxisten Antonio Gramsci durch die europäische extreme Rechte in den 1970er Jahren und zielt darauf ab, eine kulturelle Hegemonie zu erlangen (Martin, 2022). Im Rahmen ihrer metapolitischen Bestrebungen versuchen extrem rechte Akteur*innen folglich die öffentliche Meinung zu beeinflussen, um ihren politischen Einfluss zu manifestieren. Besonders digitale Medien und die damit verbundenen Möglichkeiten zur Veröffentlichung eigener Inhalte haben weltweit dazu beigetragen, dass rechtsextreme Aktivist*innengruppen sowohl online als auch offline sichtbarer und einflussreicher geworden sind (vgl. Samaras, 2022).
Im Gaming-Bereich versuchen rechtsextreme Akteure im Zuge dieser Metapolitik gezielt ihre Ideologie in Foren, sozialen Medien und Online-Chats zu normalisieren, Diskussionen zu dominieren und die Stimmung innerhalb der Communities gegen ihre Feindbilder aufzuheizen. Sie bedienen sich einer aggressiven Rhetorik gegenüber Andersdenkenden und verwenden häufig vermeintlich humorvolle, satirisch codierte Darstellungen und Postings. Deren Dechiffrierung erfordert sowohl Kenntnisse der Gaming-Subkultur als auch rechtsextremer Narrative (vgl. Wells et al., 2023). Wie Prinz (2024) aufzeigt, zählt auch die Integration nationalistischer Symbolik, rassistischer Charakterdarstellungen oder anderer rechter Narrative durch Modifikationen populärer Spiele zu den Strategien der Rechtsextremen. Die Veröffentlichung komplett eigener Spiele kommt eher selten vor. Aufgrund des langen und teuren Produktionsprozesses digitaler Spiele und der vergleichsweise schlechten Abrufzahlen rechtsextremer Games gibt es nur wenige ernstzunehmende Beispiele für diese Strategie. Eine drohende Indizierung solcher Titel durch die Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz (BzKJ), wie zum Beispiel beim Vorgängerspiel von Kvlt Games geschehen, mindert mögliche Erfolgsaussichten, zumindest in Deutschland, nochmals erheblich.
Klares Ziel: Provokation
Wie andere Spiele zuvor setzt auch der erwähnte neueste Titel auf eine durchschaubare Provokation, die vor allem eine Reaktion auslösen soll: Einen Aufschrei der Zivilgesellschaft und öffentliche Empörung. Eine Strategie, die auch in der Öffentlichkeitsarbeit des Entwickler*innenstudios, z.B. auf dem Kurznachrichtendienst X, deutlich wird. Dort werden immer wieder aktuelle Themen aus der Gaming-Szene und Berichterstattung zum Spiel provokant aufgegriffen. Im Spiel selbst wechselt sich eine bewusst drastische Darstellung von politischen Gegner*innen, ideologisch abgelehnten Lebensweisen und anderen rechtsextremen Feindbildern mit Bezügen zu rechten Kulturprojekten, rechtsextremen Bands und Persönlichkeiten der internationalen rechten Szene ab.
Die vermittelte Botschaft schwankt dabei zwischen zwei konträren Narrativen: Zum einen werdem die westliche Gesellschaft im Allgemeinen und der weiße heterosexuelle Mann im Besonderen in einer klaren Opferrolle inszeniert. Das zeigt nicht nur die Betitelung des höchsten Schwierigkeitsgrades als “weiß, männlich”, sondern auch die antisemitisch und queerfeindlich geprägte Darstellung einer globalen Macht, die versuche, den Menschen die nationale und geschlechtliche Identität zu rauben und eine queere, nicht heteronormative Lebensweise zu propagieren, die es im Spiel zu bekämpfen gilt. Beispielsweise finden sich im Spiel Werbeanzeigen, die eine Indoktrination eines “weißen Schuldbewusstseins” und Propaganda zur Transsexualität widerspiegeln sollen oder auch Endgegner, die auf antisemitische Verschwörungsmythen zur Corona-Pandemie oder vermeintlich gesteuerte Medien Bezug nehmen. Zum anderen wird die extreme Rechte als heroische Untergrundorganisation dargestellt, die ein indoktriniertes Volk befreit und zurück zur vermeintlich richtigen Identität führt. Besonders offensichtlich ist hier die Inszenierung des österreichischen Rechtsextremen und Kopfes der Identitäten Bewegung, Martin Sellner, als „Ernst Laserstorm”, in früheren Werbematerialien noch “Ernst Sturmgewitter”, der in dem Spiel den europäischen Widerstand anführt.
Trotz großer internationaler Bemühungen: Scheitern vorprogrammiert!
Im Gegensatz zum indizierten Vorgängertitel ist das Spiel merklich internationaler ausgelegt. Nicht nur wurden manche, in Vorabversionen noch als deutsche Politiker*innen erkennbare Gegner*innen, wie z.B. die deutsche Innenministerin, durch internationalere, weniger klar identifizierbare Figuren ersetzt, auch das Marketing des deutschsprachigen Entwicklers ist hauptsächlich in englischer Sprache verfasst und richtet sich an ein weltweites Publikum. Außerdem wurde versucht, mehrere größere internationale Streamer*innen der rechten und reaktionären Szene dazu zu bewegen, das Spiel öffentlich zu testen.
Gerade dieser Schritt hin zu einem internationalen Publikum offenbart aber auch das Scheitern dieses metapolitischen Projekts der extremen Rechten in Deutschland. Eine Analyse der aktiven Spieler*innenzahlen auf der Plattform Steam zeigt, dass selbst zum Release nicht einmal 100 Menschen das Spiel gespielt haben und es außerdem täglich fallende Spieler*innenzahlen vermelden muss. Zwei Monate nach Veröffentlichung des Titels liegt diese für den Erfolg digitaler Spiele wichtige Metrik deutlich unter zehn aktiven Spieler*innen, was sicherlich auch damit zusammenhängt, dass der Titel mittlerweile nicht mehr in Deutschland auf der Plattform vertrieben wird. Und obwohl das Spiel von deutschsprachigen und auch einigen wenigen internationalen Influencer*innen der rechtsextremen Szene in Streams und Videos gespielt wurde, lässt sich auch hier kein kommerzieller Verkaufserfolg ausmachen. Die selbst gesetzten metapolitischen Ziele dürften die Entwickler*innen weit verfehlen. Das Spiel tritt so plump und offensichtlich als rechtsextremes Machwerk auf, dass es zwar durchaus in der eigenen Szene dafür gefeiert wird, ein subversives Einwirken auf die Zivilgesellschaft – den “Schauplatz der hegemonialen Kämpfe” (Gürsen 2016) – jedoch äußerst unwahrscheinlich erscheint. Gerade in den negativen Kritiken auf Steam, welche außerhalb Deutschlands noch abrufbar sind, ist abzulesen, dass es vor allem die rechtsextremen Thematiken im Spiel waren, die Menschen außerhalb der Szene abgeschreckt haben.
Was tun gegen rechte Games?
Trotzdem sollte das Spiel in seinem Gefahrenpotenzial nicht unterschätzt werden. Zum einen gibt es im rechtsoffenen Teil der Gaming-Community eine Zielgruppe mit hohem Radikalisierungspotenzial. Zum anderen ist das durch solche medialen Produkte bediente Distinktionsbedürfnis, kombiniert mit bereits aufkeimenden rechtsextremen Einstellungen, ein nicht zu unterschätzender Faktor bei der Radikalisierung junger Menschen, ein Phänomen welches zum Beispiel auch im Rechtsrock und vor allem den Schulhof-CDs der 90er Jahre zu beobachten war. Anders als damals kann dieses Spiel jedoch nicht direkt in die Hände von Schüler*innen gegeben werden, sondern muss von diesen aktiv im Internet gefunden und vor allem gekauft werden. Eine bedachte Einordnung dieses und anderer metapolitischer Versuche der extremen Rechten ist also von großer Bedeutung. So rät das Projekt Good Gaming: Well Played Democracy zu medialer Zurückhaltung und warnt vor einer Überhöhung des Spiels und vor einer voreiligen allgemeinen Verurteilung der Gaming-Kultur. Letztlich gilt es hier, die konkreten kommerziellen Unternehmen wie zum Beispiel die Vertriebsplattform Steam oder GoG in die Verantwortung zu nehmen, die an der Verbreitung extremistischer und diskriminierender Inhalte verdienen und diese auf ihrer Plattform dulden. Eine stärkere Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft und die Aufklärung über die Gefahren solcher Inhalte sind deshalb genauso unerlässlich wie ein klarer und effektiver Moderationsprozess auf den entsprechenden Plattformen.
Fußnoten
[1] Um nicht an der Verbreitung und Reproduktion menschenfeindlicher Inhalte mitzuwirken, wird in diesem Beitrag darauf verzichtet, den Titel dieses und anderer rechtsextremer Videospiele zu nennen.
Literatur
Aghazadeh, S. A., Burns, A., Chu, J., Feigenblatt, H., Laribee, E., Maynard, A. L. M. et al. (2018). GamerGate. A Case Study in Online Harassment. In J. Goldbeck (Hrsg.), Online harassment (S. 179–207). Springer (Human-computer interaction series).
Gürses, H. (2016). Kulturalität in hegemonie- und machttheoretischer Perspektive. Polylog, 36, 13–22.
Martin, S. D. (2022). Metapolitik bis zum »Tag X«. In V. S. Vukadinović (Hrsg.), Randgänge der Neuen Rechten. Philosophie, Minderheiten, Transnationalität (S. 99–128). transcript (Edition Politik, Band 127).
Prinz, M. (2024). Extremist Games and Modifications. The “Metapolitics” of Anti-Democratic Forces. In L. Schlegel & R. Kowert (Hrsg.), Gaming and extremism. The radicalization of digital playgrounds (S. 57–71). Routledge.
Samaras, G. (2022). Rise of the Extreme Right: A Lowy Institute Paper. Politics, Religion & Ideology, 23(4), 527–528. https://doi.org/10.1080/21567689.2022.2146283
Sørensen, E. (2013). Violent computer games in the German press. New Media & Society, 15(6), 963–981. https://doi.org/10.1177/1461444812460976
Wells, Garrison; Romhanyi, Agnes; Reitman, Jason G.; Gardner, Reginald; Squire, Kurt; Steinkuehler, Constance (2023): Right-Wing Extremism in Mainstream Games: A Review of the Literature. In: Games and Culture. https://doi.org/10.1177/15554120231167214
Schlagwörter
- Digitaler Rechtsextremismus, Kunst/Kultur/Musik & Rechtsextremismus, Rechte Strukturen & Organisationen, Rechtsextremismus International
Veröffentlichunsdatum
Matthias Heider
Matthias Heider ist wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft in Jena. Dort forscht er, im Rahmen des RadiGaMe-Verbunds, zu rechtsextremer Radikalisierung auf Gaming-Plattformen sowie zur Präventionsarbeit von Zivilgesellschaft, Sicherheitsbehörden und Industrie im Gaming.
Matthias.Heider@IDZ-Jena.de
Dominik Lux
Dominik Lux ist studentische Hilfskraft im RadiGaMe Teilprojekt des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft in Jena. Er studiert Soziologie und Linguistik an der FSU Jena mit Schwerpunkten auf Geschlechtersoziologie, rechten Diskursen und qualitativen Methoden.
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