Rechtsextremismus als Meme – Impulse für eine digitale Rechtsextremismusforschung
von Maik Fielitz
Der Rechtsextremismus hat in seiner Geschichte wohl bisher nie so eine starke Veränderung erfahren wie im Kontext der Digitalisierung. Innerhalb kürzester Zeit änderten sich nicht nur die Organisations- und Ausdrucksweisen rechtsextremer Akteure, die Reichweite und Aufmerksamkeit einschlägiger Positionen oder die Umgangsweisen durch Institutionen und Gesellschaft, sondern auch die Erforschung relevanter Phänomene. Die klassische Rechtsextremismusforschung ist geprägt von einem Fokus auf Akteure, Strukturen und Ideologien – und deren Kontinuität. Dass Entwicklungen nicht vom Himmel fallen, ist ein wiederkehrendes Diktum. Zu Recht. Die Erforschung von Akteuren des Rechtsextremismus ist unerlässlich. Und doch: Das Internet steht für Beschleunigung, Disruption und neue Formen der Organisierung. Lange wurde das Internet nur als ein weiteres Betätigungsfeld der organisierten extremen Rechten verstanden. Dabei haben wir es mit einer Verflüssigung und Memefizierung des Problems zu tun, was neue Antworten erfordert.
Die Verflüssigung des Rechtsextremismus
Seit einigen Jahren sind demokratische Gesellschaften mit einer Reihe von strukturlosen oder -schwachen Phänomenen im Rechtsextremismus konfrontiert: Rechtsterroristische Gewalt von allein handelnden Tätern, die sich lose mit Online-Communities verbunden fühlen; rassistische Protestmobilisierung von rechten Milieumanagern, die kaum eine politische Sozialisierung oder Einbindung erfahren haben; die Verbreitung von rechtsextremem Hass, der sich durch die Feeds und Kommentarspalten der sozialen Medien zieht. Hinzu kommen digitale Schwärme, die sich um Hashtags, Influencer und Alternativmedien formieren und zu Botschaftern rechtsextremer Propaganda werden. Nicht selten trifft dies – in ungewollter Weise – auch für die Akteure der Gegenrede zu, die die Reichweite der Botschaften erhöhen, wenn sie ihnen widersprechen.
Die digitalen Plattformen schaffen virtuelle Beziehungen, die die Grenzen zwischen organisierten und unorganisierten Rechtsextremen verschwimmen lassen. Mit wenigen Klicks können die Empfänger rechtsextremer Propaganda nun zu deren Sender werden. Viele Accounts haben heute ein weit größeres Publikum als traditionelle Parteien der extremen Rechten – die AfD ausgenommen. Das bringt auch die Rollenprofile des organisierten Rechtsextremismus durcheinander. Denn wo weitestgehend anonym und hierarchiefrei kommuniziert wird, hat das Wort des Ideologen oft nicht mehr Gewicht als das eines Phrasendreschers. Wer hinter bestimmten Aussagen steckt und mit welcher Intention diese Inhalte geteilt werden, ist dabei nicht immer nachzuvollziehen. Ob aus Sympathie, zur Unterhaltung, vor Empörung oder mit dem Ziel der Monetarisierung: Rechtsextreme Botschaften haben einen ambivalenten Charakter angenommen. Nicht nur lassen die digitalen Kommunikate (von Memes bis TikToks) viel mehr Deutungsspielraum zu als ideologische Texte (siehe dazu auch Nicole Doerrs Beitrag zur medialen Selbstdarstellung rechtsextremer Akteure auf dem Blog des Wi-REX). Sie gehen auch auf die Ebene eines Kulturkampfes, der über die Verhandlung von Identitäten und nicht politischen Argumenten geführt wird. Aufklärung und Gegenpositionen prallen da schnell ab oder lösen gar Reaktanzen aus.
Rechtsextremismus als Meme
Diese Uneindeutigkeit zeigt sich auch im Kommunikationsverhalten. So haben Memes als Insiderwitze für die Masse rechtsextremen Ideen ein zeitgemäßes, zum Teil popkulturelles Image gegeben. Sie transportieren extreme Botschaften in einem harmlosen Gewand und schaffen dabei ganz eigene Sehgewohnheiten und Dynamiken. Wo in den 90er Jahren Neonazi-Skinheads „Deutschland den Deutschen“ grölten, singen heute Teenager dieselbe Parole zum Gigi D’Agostino-Soundtrack und lassen es auf TikTok viral gehen. Ob sie inhaltlich übereinstimmen, spielt dabei nicht unbedingt eine Rolle. Sie zeigen das transgressive Potenzial, das in solch niedrigschwelligen Formaten steckt. Während dieser Ohrwurm noch nachhallt, entwickelt sich schon das nächste digitale Ereignis, das eine digitale Öffentlichkeit kaum zum Durchatmen kommen lässt. Die Schlagzahl erhöht sich. Die mediale Aufarbeitung wirkt verstärkend, so sehr auch gegenteilige Effekte erhofft werden.
Das ist das Prinzip memetischer Kommunikation: „Memes funktionieren wie ein Grill mit glühender Kohle. Wer in die Glut pustet, tut alles andere, als diese zu löschen“, so der Journalist und Meme-Experte Dirk von Gehlen. Die rechtsextremen Kohlen werden umso mehr glühen, je mehr sie aufgegossen und somit skandalisiert werden. Um das Feuer weiter anzuheizen, sind digitale Brandbeschleuniger entscheidend: Die extreme Rechte knüpft an in digitalen Kulturen verbreiteten Affekte und Kommunikationsmodi wie Schadenfreude, Sarkasmus, Provokation und Shitposting an und bedient sich entsprechender Ästhetiken und Ausdrucksmittel. Sie funktionieren politisch deshalb, weil diese identitätsstiftenden Praktiken in Online-Communities jahrelang erprobt wurden. Und weil sie Gegenreaktionen auslösen. Um einen (gefühlten) Rechtsruck der Gesellschaft zu erwirken, kann es daher effektiver sein, sich dem digitalen Sog anzuschließen, als sich in einer Partei zu engagieren.
Impulse für eine digitale Rechtsextremismusforschung
Dass der Rechtsextremismus heute seine Stärke aus den unstrukturierten Schwarmstrukturen digitaler Öffentlichkeiten zieht, ist eine Herausforderung, der auch die Forschung gerecht werden muss. Hierzu muss zunächst der organisationale Bias in der Analyse überwunden werden, der Rechtsextremismus viel zu stark an etablierte Partei- und Bewegungsakteure knüpft. Der Blick muss vermehrt auf Formate, Ästhetiken und Praktiken gerichtet werden, die eine nicht-argumentative Form der Ansprache vermitteln. In diesem Zusammenhang muss auch das Verhältnis von strategischem und organischem Handeln neu ausgelotet werden. Nicht alles, was sich im rechtsextremen Kosmos beobachten lässt, folgt einem Masterplan, auch wenn neurechte Akteure diesen Anschein vermitteln.
Vielmehr entwickelt der Rechtsextremismus seine Aufmerksamkeit aus Empörungswellen und digitalen Schlagabtauschen. Diese Interaktionsperspektive muss insbesondere im Kontext kampagnenhafter Formen des digitalen Aktivismus stärker beleuchtet werden, welche die Gegenmaßnahmen schon antizipieren. Zu guter Letzt muss die Architektur und Funktionsweise digitaler Plattformen stärker bedacht werden. Inwiefern Viralität rechtsextremer Inhalte ermöglicht oder verhindert wird, hängt unmittelbar mit der Mechanik der Plattformen, aber auch den politischen Erwägungen der Chefetagen von Big Tech-Unternehmen zusammen. Wurden reichweitenstarke rechtsextreme Accounts nach dem Anschlag in Christchurch 2019 verbannt, sind mit der Übernahme von Twitter (heute X) durch Elon Musk Anzeichen eines digitalen Backlashs nun unübersehbar. Hier zeigt sich auch, dass globale Veränderungen – in dem Fall die politische Situation in den USA – Auswirkungen auf die öffentliche Sichtbarkeit von rechtsextremen Positionen in Deutschland und Europa nehmen.
Schlagwörter
- Digitaler Rechtsextremismus, Forschungsansätze & Methoden, Rechtsextremismus International
Veröffentlichunsdatum
Maik Fielitz
Maik Fielitz ist Bereichsleiter für Rechtsextremismus- und Demokratieforschung am Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft in Jena und Ko-Leiter der Forschungsstelle der Bundesarbeitsgemeinschaft »Gegen Hass im Netz«. Er arbeitet an der Schnittstelle von Digitalisierung und Rechtsextremismus.
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