Klimawandelleugnung in der (extremen) Rechten: Das Narrativ der Ökodiktatur
von Marc Blüml, Robin Sachsenröder und Pauline Philipp
Das Verschwörungsnarrativ einer „Ökodiktatur“ spielt eine zentrale Rolle in der Klimawandelleugnung von (extrem) rechten Akteur*innen wie der AfD. Im Beitrag stellen Marc Blüml, Robin Sachsenröder und Pauline Philipp die Ergebnisse einer online-ethnographischen Erhebung auf sozialen Medien vor, die im Rahmen eines Forschungspraktikums an der Goethe-Universität erhoben wurden. Darin wird deutlich, dass das Narrativ sich nicht nur gegen dringend notwendige Klimaschutzmaßnahmen stellt, sondern durchsetzt ist von misogyner, queerfeindlicher und rassistischer Menschenfeindlichkeit.
„Die Beschränkungen in der Corona-Pandemie sind nur ein Probelauf für geplante staatliche Zwangsmaßnahmen infolge der Klimapolitik.“ Ganze 37% der Befragten einer für Deutschland repräsentativen Studie stimmten dieser Aussage mindestens teilweise zu und glauben damit letztlich an die Transformation von einer vermeintlichen Corona- zu einer Klimadiktatur (Salheiser et al., 2022, S. 4). Dieses Verschwörungsnarrativ einer Diktatur im Namen des Klimaschutzes findet seit der Rücknahme von Maßnahmen gegen die Pandemie vermehrte Zustimmung in Teilen der Bevölkerung und spielt eine zentrale Rolle in der Klimawandelleugnung von (extrem) rechten Akteur*innen wie der AfD. Gleichzeitig sind Studien über dieses Narrativ und damit verbundene rechte Ideologien rar[1]. Im Folgenden sollen deswegen die Ergebnisse einer online-ethnographischen Erhebung auf sozialen Medien präsentiert werden, die im Rahmen eines Forschungspraktikums an der Goethe-Universität unter Leitung von Prof.in Dr.in Sarah Speck Ende 2023 erhoben wurden.
Darin wird deutlich, dass das Narrativ sich nicht nur gegen dringend notwendige Klimaschutzmaßnahmen stellt, sondern durchsetzt ist von misogyner, queerfeindlicher und rassistischer Menschenfeindlichkeit. Für die Ausführungen wird einleitend dargestellt, was Verschwörungsnarrative auszeichnet, wie sie mithilfe einer Kritischen Theorie der Gesellschaft verstanden werden können und wie wir in der Erhebung und Auswertung vorgegangen sind. Daraufhin werden die Ergebnisse zum Aufbau des Ökodiktatur-Narrativs und soziologische Erklärungsansätze diskutiert.
Verschwörungsnarrative als Erklärungs-Ersatz
Grundlegendes Merkmal von Verschwörungsnarrativen ist der Anspruch, bestimmte historische Entwicklungen und Phänomene zu erklären. Allerdings handelt es sich um Simplifikationen, bei denen meist einer kleinen Gruppe von Individuen vorgeworfen wird, zu ihrem eigenen Vorteil einer bestimmten Allgemeinheit wie ‚dem Volk‘ oder ‚der Menschheit‘ zu schaden (Hepfer, 2015, S. 24). Nach der Minimaldefinition des Amerikanisten Michael Butter lassen sich drei konstitutive Merkmale von Verschwörungsnarrativen ausmachen: Erstens wird alles Geschehen auf intentionale Akte vermeintlicher Verschwörer*innen zurückgeführt, wodurch kein argumentativer Raum für Zufälle oder strukturelle Bedingungen gelassen wird; zweitens kommt Verschwörungsnarrativen ein entlarvender Impuls zu, demnach sich die betrachteten Phänomene angeblich ganz anders verhalten würden, als sie es dem oberflächlichen Anschein nach tun und drittens suggerieren sie, dass alle möglichen Phänomene und Ereignisse durch das Komplott der Verschwörer*innen bzw. böser Mächte in Verbindungen zueinander stehen (Butter, 2018, S. 22ff.).
Darüber hinaus sind Verschwörungserzählungen typischerweise von einem manichäischen Weltbild geprägt, das strikt in Gut und Böse unterscheidet (Hepfer, 2015, S. 18). Die Verschwörer*innen gelten als das Böse schlechthin, wohingegen die (imaginierte) Gemeinschaft als angebliches Opfer der Verschwörung als das absolut Gute konstruiert wird. Des Weiteren sind solche Narrative geprägt vom Bemühen, Wissenschaftlichkeit und Seriosität zu imitieren und immer neue Belege für die Schuld einer Gruppe von Verschwörer*innen zu finden, die jedoch dogmatisch behauptet wird und keiner Revidierung zugänglich ist (Müller & Loetz, 2021, S. 88f.).
Obwohl Verschwörungserzählungen in starker öffentlicher Kritik stehen, finden sie weite Verbreitung. So hängen fast 40% der Deutschen mindestens einer konkreten Verschwörungserzählung an (Lamberty & Rees, 2019, S. 211). Derartig hohe Zahlen lassen nach den gesellschaftlichen Bedingungen und Funktionen von dem Glauben an Verschwörungserzählungen fragen. Verschwörungsnarrative dienen vor allem einer Komplexitätsreduktion in der Welterklärung mithilfe der personalisierten Schuldzuschreibung. Weiterhin ermöglichen die Narrative Umgangsweisen mit wahrgenommenem Kontrollverlust, indem Wut, Hass und letztlich Gewalt gegen die Verschwörer*innen gerichtet werden (Lamberty, 2022, S. 538f.). Zusätzlich funktionieren die Verschwörungserzählungen identitätsstiftend. In ihrer manichäischen Logik befördern sie ein ‚Wir gegen Die‘, bei dem man selbst und die Eigengruppe als moralisch gut erfahren werden kann (vgl. Butter, 2018, S. 111f.).
Mithilfe einer kritisch-theoretischen Perspektive wird nun erklärbar, dass es historische Ursachen in der Gesellschafts- und Wirtschaftsstruktur gibt, die Verschwörungsnarrative als Pseudo-Erklärungen attraktiv erscheinen lassen. Insbesondere die Analyse des Kapitalismus ist hierbei relevant, da dessen Zwang zur Produktion von Mehrwert bzw. Profit nicht nur die Wirtschaft, sondern auch den Alltag durchdringt. In diesem Zwang zur Profitmaximierung ist auch die Rücksichtslosigkeit auf daraus resultierende materielle und soziale Konsequenzen angelegt. Mit Karl Marx gesprochen ist davon auszugehen, dass das kapitalistische Wachstum „zugleich die Springquellen alles Reichtums (sic!) untergräbt: die Erde und den Arbeiter.“ (Marx, 1962 [1867], S. 530) Die ausgebeuteten Arbeitenden sind sich ihrer Ohnmacht gegenüber der Arbeitswelt nicht unbedingt bewusst, aber deren Gefahren wie Unsicherheiten durch Kündigungen oder auch der fehlende Einfluss auf das, was produziert wird, bringen ein diffuses Unbehagen bzw. ein unbewusstes, chronisches psychisches Leiden hervor (Löwenthal, 1982 [1949], 25). Verschwörungserzählungen können als autoritäre Reaktion auf eben dieses Leiden verstanden werden. In der Geschichte der Moderne wird ersichtlich, dass das Glücksversprechen der bürgerlichen Gesellschaft – wie es in der französischen Revolution als Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit gefordert wurde – nicht oder nur zum Teil eingelöst wurde. Während zwar individuelle Freiheiten durchaus zunehmen, haben die Subjekte keine Kontrolle über die Risiken auf dem Arbeitsmarkt oder auch gegenüber globalen Wirtschaftskrisen wie zuletzt Ende der 2000er Jahre (Nachtwey, 2016, S. 75). Derartige Zumutungen und Widersprüche stellen hohe Anforderungen an die Einzelnen. Dagegen transportieren Verschwörungserzählungen antimoderne Ressentiments und ermöglichen mit ihrer eindeutigen Identifikation von Schuldigen eine personifizierte Kritik an unverstandenen, abstrakt-gesellschaftlichen Verhältnissen. Die Erleichterung, nun die Welt vermeintlich verstehen und an jemandem Wut über die eigenen Unsicherheiten auslassen zu können, stellt somit eine Ersatzbefriedigung dar, ohne die Ursachen für diese Unsicherheiten tatsächlich ändern zu müssen (vgl. Kirchhoff, 2020, S. 110f.).
Auch bei dem Narrativ einer Klimadiktatur kann vermutet werden, dass es sich um eine Legitimationsstrategie von klimaschädlichem Verhalten handelt, mithilfe derer am bisherigen Lebensstil trotz (geleugneter) Klimakrise festgehalten werden kann. Anstatt einen Kontrollverlust durch wirtschaftliche und klimatische Krisenerscheinungen anzuerkennen, kann die Faktizität des Klimawandels durch die verschwörerischen Feind*innen verdrängt werden.
Lebensweltliche Zugänge durch die Online-Ethnografie
Da es bisher kaum Analysen des Öko- bzw. Klimadiktatur-Narrativs gibt, widmete sich unsere Arbeit einem lebensweltlichen Zugang, bei dem wir Online-Posts und Videos zu den Schlagworten Ökodiktatur und Klimadiktatur auswerteten. Hierbei ist anzumerken, dass die beiden Begriffe in den Posts meist äquivalent verwendet werden. Nur wenn thematisch dezidiert Klimaschutz- oder aber allgemeinere Umweltschutzpolitik behandelt wurde, wurde jeweils der eine oder der andere Begriff gewählt. Um sich dem Phänomen offen und explorativ zu nähern, wurde ein ethnografisches Verfahren gewählt (Dellwing et al., 2021, S. 69). Dabei wurde das Material über die Plattformen X (vormals Twitter), YouTube, Instagram, GETTR und Telegram erhoben und anschließend mit einer qualitativen Inhaltsanalyse nach Kuckartz (2016) ausgewertet. Bei dieser codierenden Methode wird anhand des theoretischen Vorwissens und der empirischen Daten nach zentralen Kategorien gesucht, anhand derer das Material sortiert werden kann. Im Folgenden werden die zentralen Ergebnisse der Analyse vorgestellt und anhand exemplarischer Posts illustriert.
Das Ökodiktatur-Narrativ
Grundlegend wird unter der Öko- bzw. Klimadiktatur ein totalitäres, ‚links-grünes‘ Regime verstanden, welches ‚den Deutschen‘ ihre Freiheit und ihren Wohlstand rauben wolle. Dies zeige sich in Maßnahmen wie dem Heizungsschutzgesetz (GEG), dem Verbrenner-Aus oder dem Ziel einer 15-Minuten-Stadt, die als Einschränkung der Automobilität und gar der Bewegungsfreiheit gesehen wird. Um den vermeintlichen Totalitarismus dieser Maßnahmen herauszustellen, wird meistens auf den Sozialismus oder den Nationalsozialismus und damit verbundenes Leid, Armut und Tote verwiesen. Umstritten ist in der Debatte allerdings, ob man sich schon in einer ‚ökosozialistischen Diktatur‘ befinde, oder ob diese gerade entwickelt werden würde. Besonders eindrücklich artikulierte eine Person auf GETTR den Vorwurf des Totalitarismus als einem Mordregime:
„Und nochmal. Das ENDZIEL des Altparteienkartells ist der Volkstod der DEUTSCHEN auf DEUTSCHEM Boden und die gleichzeitige Errichtung einer SOZIALISTISCHEN (sprich: FASCHISTISCHEN) Ökodiktatur.“ [Hervorhebungen im Original]
Unterschiede zwischen Sozialismus und Faschismus werden nicht zur Sprache gebracht, sondern beide Vorwürfe gleichbedeutend für repressive, planwirtschaftliche Bestrebungen gesehen. Hinter diesen werden ‚globale Finanzeliten‘ und die damit zusammenhängende ‚Klimalobby‘ vermutet. Diese seien die Finanziers hinter denjenigen, die die Policies für sie realisieren würden: die Politik und die Klimaschutzbewegung. Während teils allen Parteien außer der AfD Mittäterinnenschaft an den totalitären Maßnahmen vorgeworfen wird, stehen insbesondere Bündnis 90/Die Grünen als ‚totalitäre Kontroll- und Verbotspartei’, aber auch die Ampel-Regierung mit vermeintlich ‚autoritären Gelüsten’ als politische Durchsetzung für die Ökodiktatur. Auch die Klimawissenschaften und die Massenmedien wären an der Indoktrination beteiligt, indem sie Panik verbreiten und die Menschen so ‚verdummen‘ würden. Daran anschließend wird der Klimaschutzbewegung vorgeworfen, deren Anhänger*innen seien entweder ‚verblendet‘ oder würden von der Klimalobby finanziert. Besonders gegen Repräsentantinnen der Klimaschutzbewegung wie Luisa Neubauer oder Greta Thunberg entzündet sich misogyner Hass und der Vorwurf des Elitarismus.
Deutlich wird hieran die Konstruktion einer ‚Wir‘-Gruppe: Im Gegensatz zu den ‚faulen‘, ‚verzogenen‘ und ‚hysterischen‘ Aktivist*innen verstehen sich die Vertreter*innen des Klimadiktaturnarrativs als ‚normale‘, hart arbeitende Personen, die sich ihren Wohlstand verdient haben. Sie beanspruchen für sich, für liberale Freiheitswerte wie insbesondere Eigentum, Demokratie und ‚richtigen Umweltschutz‘ einzustehen. Das dahinter angerufene Kollektiv zeigt sich allerdings wiederholt als völkisch und exklusiv, wie im oben zitierten Post deutlich wurde. Besonders eindrücklich zeigt sich dies in der Verbindung zu anderen Verschwörungsnarrativen. Vor allem das (bereits während der Corona-Pandemie häufig verwendete) Narrativ des ‚Great Reset‘ findet wiederholt Erwähnung. Dabei wurde die Pandemie zu einer ‚Plandemie‘ uminterpretiert, hinter welcher der Versuch der Einrichtung eines kommunistischen Regimes stünde (vgl. Weiß, 2021). Im Fall des Ökodiktatur-Narrativs wird davon ausgegangen, dass Covid-19 bzw. die ‚Coronapanik‘ nicht ausgereicht habe, und deswegen nun der Klimawandel als Vorwand bemüht würde. So zeigt es sich besonders flagrant in der Beschreibung eines Videos von AUF1 vom 21. Juli 2023 unter dem Titel „Welt-Versklavung und Great Reset: So weit sind wir im Sommer 2023“:
„Corona ist nun vorbei. Die globale Transformation geht jedoch ohne Atempause weiter. Krieg, Gesundheits- und Klimadiktatur, Totalüberwachung, Massenmigration, Gender-Erziehung und Transhumanismus… Wo stehen wir heute und wohin soll das alles führen?“
An dem zitierten Post wird aber auch deutlich: Die vermeintliche Corona-Diktatur ist nicht das einzige eng mit der Klimadiktatur verbundene rechte Narrativ, sondern auch Bezüge zu ‚Massenmigration‘ oder dem so bezeichneten ‚Genderwahn‘ bzw. gar der ‚Regenbogenmafia‘ finden sich immer wieder im Feld. All diese Themen verstehen die Verschwörungsgläubigen als ‚Irrsinn‘, ‚Hysterie‘ oder ‚Pervertierung‘, welche am Ende der deutschen Wirtschaft schaden würden:
„Die Massenmigration erreicht immer neue Höchststände, obwohl das Land schon zuvor vor dem Kollaps stand, die Wirtschaft bricht zusammen, weil sie durch die Klimaideologie zerstört wird, künstlich geschaffene Wahnkonstrukte wie die Gender-Ideologie polarisieren die Gesellschaft immer weiter.“
Wie sich zeigt, ist das Narrativ um die Ökodiktatur von Rassismus, Misogynie und Queerfeindlichkeit durchzogen. Zentrale Funktion scheint die Konstruktion eines Feindbilds zu sein, bei dem Klimaschutzmaßnahmen nicht aufgrund ihrer gesellschaftlichen Notwendigkeit durchgesetzt werden sollen, sondern aufgrund egoistischer und totalitärer Bestrebungen. Änderungen der Verhältnisse, die aktuell auf globalem Level Überlebensmittel und die Umwelt zerstören, werden so unnötig. Dagegen wird eine ‚gute, normale’ Wir-Gruppe postuliert, die gegenüber diesem Wahnsinn und ihrem Egoismus vernünftig bleibe und sich nicht ändern müsse. Auch der Aufruf zum Widerstand ist als Funktion des Narrativs hervorzuheben: gegen die Verarmung und Freiheitseinschränkung müsse sich – im Namen des ‚deutschen Volkes‘ oder der nachfolgenden Generationen – gewehrt werden. Als ‚Retterin‘ wird immer wieder die AfD genannt, welche sich als einzige Partei gegen den „kollektiven Suizid“ und derartige ‚irrsinnige‘ politische Maßnahmen stellen würde. Im Rahmen dessen werden sehr häufig Strafphantasien und darunter speziell körperliche Gewalt, Gefängnis oder gar Arbeitslager für Aktivist*innen und Politiker*innen gefordert, die für Klimaschutz eintreten.
Autoritäre Dimensionen der Klimawandelleugnung
Grundlegend zeigte sich in verschiedenen Posts mit dem Schlagwort Ökodiktatur, dass in der Abgrenzung der Ingroup von den ‚Klimahysteriker*innen‘ und ‚Ökosozialist*innen‘ eine Gruppenidentität ausgebildet wird, die sich – meist unter dem Banner der AfD – gegen jeden Klimaschutz stellt. Während der Klimawandel als Teil multipler Krisen im 21. Jahrhundert die bestehenden Lebensrealitäten und Normen in Frage stellt (Bader et al., 2011, S. 13), zeigt sich in dieser Ingroup ein aggressives Festhalten an eben diesen. Auf deren Unhaltbarkeit wurde wissenschaftlich seit Jahrzehnten hingewiesen. Die Naturausbeutung des fossilen Kapitalismus und der damit verbundene Wohlstand im Globalen Norden erreichten im Verlauf der Industrialisierung ein destruktives Niveau, das nicht nur im Globalen Süden zu Hitzewellen, Dürren und Hungersnöten führte. Mittlerweile werden auch in Deutschland Extremwetterereignisse und Naturkatastrophen wie im Ahrtal immer häufiger. Dagegen postuliert das Narrativ einer Klimadiktatur ‚alternative Fakten‘, die den Klimawandel leugnen und die Klimaschutzmaßnahmen auf das Ziel eines totalitären Kommunismus globaler Eliten reduzieren. Statt die Komplexität der Interdependenz von Kapitalstrukturen, Politik und Naturverhältnissen nachzuvollziehen, wird das Problem auf eine vermeintliche kleine ‚Finanzelite‘ und ihre angeblichen politischen Handlanger*innen reduziert. Diese Personalisierung vereinfacht nicht nur die Erklärung von abstrakten Wirtschaftsprozessen und -krisen, sondern ermöglicht gleichzeitig eine intellektuelle Resouveränisierung und damit auch Selbstaufwertung: Entgegen der vermeintlich prävalenten Irrationalität würden die AfD und ihre Anhänger*innen für vernünftiges und kritisches Denken stehen, das die bestehende Verschwörung durchschaut. Anstatt durchaus notwendige Kritik an aktueller Politik mit ihrer Reproduktion sozialer Ungleichheit durch Klimaschutzmaßnahmen zu äußern, werden diese somit durch die Dämonisierung jedweden Klimaschutzes allgemein abgelehnt.
Des Weiteren zeigen sich in den Posts zum Narrativ Hinweise, die nahelegen, dass die Postenden klassisch autoritäre Dispositionen aufweisen. In der Autoritarismusforschung wird in Anschluss an die Arbeiten der Kritischen Theorie von drei zentralen autoritären Dimensionen ausgegangen: 1. Autoritäre Aggression, wie sie sich in den Bestrafungsfantasien gegenüber Klimaaktivst*innen und Politiker*innen zeigten, 2. autoritäre Unterwürfigkeit bzw. der masochistischen Lust daran, in einem Kollektiv wie ‚den Deutschen‘ oder der AfD aufzugehen und 3. Konventionalismus, sprich der Unterstützung gesellschaftlich akzeptierter Normen, wie wir es in dem Festhalten an harter Arbeit und Leistung gesehen haben (Decker et al., 2022, S. 77f.; Adorno, 1973, S. 46ff.). Entsprechend der Leipziger Autoritarismus Studien kann von einer hohen Verbreitung dieser Dimensionen in der deutschen Bevölkerung ausgegangen werden. Die empirisch herausgearbeiteten Hauptdimensionen des Sadomasochismus (bestehend aus autoritärer Aggression, autoritärer Unterwürfigkeit und Konventionalismus) sowie der Projektivität (Verschwörungsmentalität und Aberglaube) weisen seit Jahren hohe Zustimmungsraten auf. So stimmen ca. die Hälfte der Befragten Aussagen zu autoritärer Aggression, ein Fünftel der Befragten zu autoritärer Unterwürfigkeit und ein Drittel zu Konventionalismus zu. Auch Aussagen zu Verschwörungsmentalität und Aberglauben finden bei ca. einem Viertel der Be- fragten Zustimmung (Decker et al., 2022, S. 80ff.). Dass diese Charakteristika seit dem sogenannten ‚Wirtschaftswunder‘ der 1950er und 60er Jahre eher latent in der deutschen Bevölkerung vorfindbar waren, erklären Decker et al. (2014) mit dem hohen Wohlstand als einer narzisstischen Plombe: Aufgrund der hohen Bedürfnisbefriedigung und Sicherheit durch den Wohlstand und damit einhergehender Konsummöglichkeiten zeigte sich der Autoritarismus in der breiten Bevölkerung weniger markant. Doch die zunehmenden Krisenerscheinungen wie die Corona-Pandemie und der Klimawandel sowie damit verbundene wirtschaftliche Unsicherheiten lassen diese Plombe bröckeln.
Diese Befunde machen die Dringlichkeit einer gesamtgesellschaftlichen Adressierung der Klimakrise deutlich, die sich nicht nur technokratisch auf die Reduktion von Treibhausgasen oder einer raschen Energiewende beschränkt. Es gilt darüber hinaus, dem grassierenden Rechtsextremismus und seinen verschwörungsnarrativen Konsequenzen zu begegnen. Der Klimawandel ist Teil einer insgesamt einer krisenhaften Dynamik, die nicht aus sich heraus ein wirksames Gegensteuern hervorbringt, sondern – im Gegenteil – regressive Tendenzen befeuert, die effektivem Klimaschutz entgegenstehen und sich in gewaltsamen Ausbrüchen gegen gesellschaftlich Marginalisierte, Geflüchtete und Klimaschutzaktivist*innen richten. Dieser Entwicklung gilt es zukünftig zivilgesellschaftlich wie staatlich entschlossen entgegenzutreten.
Literatur
Adorno, T. W. (1973). Studien zum autoritären Charakter. Suhrkamp.
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Butter, M. (2018). ‚Nichts ist, wie es scheint.‘ Über Verschwörungstheorien. Suhrkamp.
Decker, O., J. Kiess, K. Rothe, M. Weißmann & Brähler E. (2014). Wohlstand, autoritäre Dynamik und narzisstische Plombe: Psychoanalytisch-sozialpsychologische Beiträge zur Kritik der postdemokratischen Gesellschaft. Forschungsjournal Soziale Bewegungen 27, 63–75.
Decker, O.; Kiess, J.; Heller, A.; Schuler, J.; Brähler, E. (2022). Die Leipziger Autoritarismus Studie 2022: Methode, Ergebnisse und Langzeitverlauf. In O. Decker; J. Kiess; A. Heller; E. Brähler (Hrsg.): Autoritäre Dynamiken in unsicheren Zeiten. Neue Herausforderungen – alte Reaktionen? Leipziger Autoritarismus Studie 2022 (S. 31-90) . Psychosozial-Verlag.
Dellwing, M., A. Tietz & Vreca, M.-A. (2021). Digitaler Naturalismus. Grundlagen der Ethnografie in der Onlineforschung. Springer Fachmedien.
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Kirchhof, C. (2020). „Das Gerücht über die Juden“ – zur (Psycho-)Analyse von Antisemitismus und Verschwörungsideologie. In Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft (Hrsg.): Wissen schafft Demokratie. Schwerpunkt Antisemitismus, Band 8 (S. 104–115). Jena.
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Fußnoten
[1] Bisher wurde das Klimadiktatur-Narrativ nur im Rahmen anderweitiger empirischer Studien randständig behandelt, wie bspw. bei Soentgen und Bilandzics (2014) Analyse von klimawandelleugnenden Sachbüchern.
Schlagwörter
- Autoritarismus, Digitaler Rechtsextremismus, Klima & Rechtsextremismus
Veröffentlichungsdatum
Marc Blüml
Marc Blüml studiert Soziologie, Politische Theorie und Gender Studies im Master an der Goethe Universität Frankfurt a. M. und ist studentische Hilfskraft am Institut für Sozialforschung in Frankfurt a. M. Seine Forschungs- und Interessensschwerpunkte liegen auf psychoanalytisch geschulter materialistischer Gesellschaftstheorie, Autoritarismusforschung, Methoden der qualitativen Sozialforschung und Geschlechterforschung.
Robin Sachsenröder
Robin Sachsenröder studiert Soziologie im Master an der Goethe Universität Frankfurt a. M. und ist dort studentische Hilfskraft am Lehrstuhl für Umweltsoziologie. Seine Interessenschwerpunkte liegen auf arbeitssoziologischen und kapitalismustheoretischen Fragestellungen im Lichte materialistischer Gesellschaftstheorie.
Pauline Philipp
Pauline Philipp studiert Soziologie im Master an der Goethe Universität Frankfurt a. M. Sie ist studentische Hilfskraft im Drittmittel-Projekt „EnerVi“ (Lehrstuhl Barbara Brandl, GU). Zurzeit liest sie viel Foucault und interessiert sich ansonsten für feministische Theorien sowie Wissenschafts- und Technikforschung.
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