Haltung zeigen und Machtverhältnisse kritisch reflektieren - Beratungsarbeit gegen Rechtsextremismus darf nicht neutral sein
von Friedemann Bringt
Seit 30 Jahren unterstützt die Mobile Beratung Menschen im Umgang mit Rechtsextremismus und Demokratiegefährdung. Für alle, die das Berufsfeld besser verstehen oder vielleicht sogar in ihm arbeiten wollen, bietet der Sammelband Beratung zu Rechtsextremismus und Demokratiegefährdung: Konzepte – Herausforderungen – intersektionale Perspektiven Informationen und Orientierung. Seine zentrale Botschaft ist: Beratungsarbeit gegen Rechtsextremismus darf nicht neutral sein, sondern muss Haltung zeigen und Machtverhältnisse kritisch reflektieren.
In Beratung zu Rechtsextremismus und Demokratiegefährdung versammeln die Herausgeber*innen Friedemann Bringt, Marion Mayer, Nora Warrach und Esther Lehnert praktische und wissenschaftliche Perspektiven auf die Beratungs- und Netzwerkarbeit im Themenfeld Rechtsextremismus und demokratiegefährdender Entwicklungen. Sie bieten Einblicke in die Beratungspraxis und ihre theoretischen Grundlagen und beziehen sich dabei besonders auf die dreißigjährige Praxisexpertise Mobiler Beratung gegen Rechtsextremismus. Die Autor*innen machen deutlich, vor welchen Herausforderungen Berater*innen stehen, die Menschen im Umgang mit Rechtsextremismus und Demokratiegefährdung unterstützen, und welche Bedarfe und Perspektiven für die weitere Professionalisierung des Berufsfeldes daraus folgen. Darüber hinaus geben sie Anregungen für einen intensiven Praxis-Wissenschafts-Austausch sowie für eine Weiterentwicklung der Beratungsarbeit insgesamt.
Die Idee für das Buch entstand im Rahmen einer berufsbegleitenden Weiterbildung, die der Bundesverband Mobile Beratung e.V. und die Alice Salomon Hochschule (ASH) in Berlin seit 2020 verantworten und die im September 2024 in den dritten Durchgang geht. Unter dem Titel Beratung und Netzwerkarbeit im Kontext von Demokratiegefährdung und extrem rechten Orientierungen tauschen hier Mobile Berater*innen, Sozialarbeiter*innen und Sozialwissenschaftler*innen ihre Sichtweisen auf die Arbeit in der Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus aus und erarbeiten Perspektiven für die Zukunft. Ergebnisse dieses Austauschs finden sich im Sammelband wieder und werden durch Beiträge aus Wissenschaft und Praxis ergänzt. Der Band wird von Vertreter*innen beider Institutionen gemeinsam herausgegeben.
Beratung zu Rechtsextremismus und Demokratiegefährdung ist in vier Teile gegliedert. Der erste Teil widmet sich aktuellen Standortbestimmungen und der professionellen Haltung einer Beratung zu Rechtsextremismus und Demokratiegefährdung. Dabei grundiert der Beitrag von Friedemann Bringt und Marion Mayer diese Standortbestimmung im Kontext der berufsbegleitenden Zertifikatsweiterbildung an der ASH Berlin. Weitere Beiträge widmen sich unterschiedlichen Facetten eines professionellen Haltungsdiskurses für die Beratungsarbeit. Heiko Klare veranschaulicht, in welchen teilweise ambivalenten Schritten und Konfliktlinien sich die Mobile Beratung entwickelt hat. Dabei spricht er auch die Versicherheitlichung der Fachdiskurse und Förderbedingungen im Zuge aktueller Schwerpunktsetzungen auf Extremismusprävention und Deradikalisierung an und beschreibt deren Folgen für das Berufsfeld. Matthias Lorenz macht deutlich, dass die Mobile Beratung die demokratische Zivilgesellschaft mit den sich in ihr organisierenden Menschen als zentrale Ressource zur Bewältigung von Demokratiegefährdung und der Auseinandersetzung mit extrem rechten Orientierungen versteht. Die Mobile Beratung muss sich, wie Sarah Fey in ihrem Beitrag aufzeigt, einen Blick auf lokale Machtkonstellationen bewahren und auch eigene Reproduktionsprozesse rassistischer Zuschreibungen selbstreflexiv erkennen. Nur so kann sie ihre Angebote auch für marginalisierte Gruppen öffnen.
Wie unterschiedlich die (Sozial-)Räume sein können, in die hinein die Mobile Beratung ihre Angebote unterbreitet, und wie abhängig diese Angebote, aber auch Recherche, Information und Bildung von den Menschen sind, die in diesen Räumen leben, veranschaulichen die Beiträge von Christopher Vogel, Lyn Blees, vom MBR Berlin sowie von Friedemann Bringt und Heiko Klare im zweiten Teil Raumdimensionen und machtkritische Zugänge.
Im dritten Teil Beratung zwischen methodischen Interventionen und Intersektionalität werden strategische, konzeptionelle und methodische Überlegungen eines sich entwickelnden Berufsfeldes dargestellt. Maria Diedrich und Paul Erxleben zeigen in ihrem Beitrag, dass und wie Mobile Beratung als in der Fläche tätige Beratungsinstanz neue gesellschaftliche Konfliktfelder und damit verbundene neue demokratiegefährdende Akteur*innengruppen in ihre Beratungsangebote integrieren kann und muss. Kathalena Essers und Julia Haas, Johanna Sigl sowie Nora Warrach entwerfen mit ihren Beiträgen jeweils eigene, geschlechterreflektierte, machtkritische oder intersektionale Perspektiven auf die Weiterentwicklung des Berufsfeldes Mobiler Beratung.
Der vierte Teil Professionalisierung der Mobilen Beratung verweist schließlich auf Perspektiven, die sich aus aktuellen Fachdiskursen und dem Austausch zwischen Theorie und Praxis für die Mobile Beratung, aber auch für die Beratungswissenschaften ergeben. Marion Mayer geht auf Machtdimensionen in der Beratung ein und plädiert für eine dezidiert machtkritische, sich politisch verortende und intersektionale Perspektiven aufnehmende Beratung. Birgit Jagusch konstatiert in ihrem Beitrag auf der Grundlage empirischer Forschungsbefunde, dass es in Einrichtungen der sozialen Arbeit häufig an Expertise im Umgang mit extrem rechten Orientierungen und Angriffen fehlt und plädiert vor diesem Hintergrund für die Entwicklung diskriminierungssensibler Schutzkonzepte für Soziale Einrichtungen. Friedemann Bringt schließlich beleuchtet in seinem Schlussbeitrag die partizipative Entwicklung des Bundesverbands Mobile Beratung e.V. als Fach- und Dachverband der Mobilen Beratung in Deutschland und entwickelt Perspektiven für die mittel- und langfristige Weiterentwicklung des Berufsfeldes. Dabei plädiert er für die Entwicklung eigenständiger Verfahren von Qualitätssicherung und -entwicklung mittels Praxisreflexion und praxisnaher Weiterbildungen sowie eine diversitätsorientierte Öffnung des Verbandes.
Beratung zu Rechtsextremismus und Demokratiegefährdung regt dazu an, bestehende Beratungsansätze theoretisch, konzeptionell und methodisch weiterzuentwickeln. Dazu werfen die Autor*innen einen kritischen Blick auf die Funktion von Beratung und darauf, was sie nicht leisten kann, und positionieren sich innerhalb einer fachlichen Debatte zur Zukunft der Beratungsarbeit.
Informationen zur Publikation: Beratung zu Rechtsextremismus und Demokratiegefährdung: Konzepte – Herausforderungen – intersektionale Perspektiven
Herausgeber*innen: Friedemann Bringt, Marion Mayer, Nora Warrach, Esther Lehnert
Verlag: Beltz Juventa, Weinheim
Seitenzahl: 240
Schlagwörter
- Beratung, Research approaches & methods, Science-practice-transer
Veröffentlichunsdatum
Friedemann Bringt
Dr. phil., ist Sozialarbeiter und gründete die Mobile Beratung im Kulturbüro Sachsen e.V. mit. Er lebt und arbeitet in Sachsen und ist seit mehr als 20 Jahren in den Bereichen Mobile Beratung, Demokratieförderung und menschenrechtsorientierte Gemeinwesenarbeit tätig. Er ist Fachreferent für Qualitäts- und Berufsfeldentwicklung im Bundesverband Mobile Beratung e.V.
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