Wi-REX meets IKG Forum: Kommunale Prävention mit Schwerpunkt auf Rechtsextremismus
Ein Beitrag verfasst vom Team des Wissensnetzwerkes Rechtsextremismusforschung (Wi-REX)
Am 5. Juni 2025 präsentierte Prof. Dr. habil. Sebastian Kurtenbach (FH Münster) im Rahmen der Online-Vortragsreihe „Wi-REX meets IKG Forum” eine systematische Auswertung kommunaler Handlungskonzepte zur Radikalisierungsprävention. Er zeigte kommunale Strategien zur Prävention von Rechtsextremismus auf, die aktuell im Rahmen eines laufenden Forschungsprojekts der Fachhochschule Münster am Fallbeispiel der Stadt Dortmund empirisch untersucht werden.
Lange Zeit war die Radikalisierungsprävention vor allem auf einzelne Individuen und Gruppen ausgerichtet. Zunehmend gewinnen jedoch auch kommunale Strategien an Bedeutung. Die Erfahrungen und Erkenntnisse aus Forschung und Praxis weisen immer wieder auf den lokalen Raum hin, da er neben dem Internet ein Ort ist, an dem sich Gruppen verankern und Personen sich radikalisieren.
Zahlreiche Städte und Gemeinden in Deutschland haben daher eigene Handlungskonzepte zur Prävention von Radikalisierung entwickelt. Der Vortrag bot zunächst einen systematischen Überblick über solche kommunalen Handlungskonzepte und analysierte deren inhaltliche Schwerpunkte, Zielsetzungen sowie die institutionelle Einbettung. Im Ergebnis zeigte sich, dass die Handlungskonzepte unterschiedliche Funktionen einnehmen, die von symbolpolitischen Stellungnahmen bis hin zu strategisch fundierten Steuerungsinstrumenten reichen, die lokale Präventionsmaßnahmen koordinieren und strukturieren sollen.
Im zweiten Teil seines Vortrags präsentierte Sebastian Kurtenbach die Befragungsergebnisse einer Beispielkommune. Im Rahmen der Studie wurde unter anderem eine stadtweite Bevölkerungsbefragung mit ergänzender Schüler*innenbefragung verschiedener Schulformen durchgeführt. Das Ziel der Studie besteht darin, ein repräsentatives Bild zur gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit – ein Phänomen, das eng mit Rechtsextremismus verknüpft ist – in der Stadt zu erstellen.
Die Daten befinden sich aktuell noch in der Auswertung. Als vorläufiges Ergebnis kann jedoch festgehalten werden, dass die Zustimmung zu gruppenbezogen menschenfeindlichen Positionen unter Schüler*innen geringer ist als in der Gesamtbevölkerung. Antisemitische Einstellungen sind jedoch häufiger vertreten. Weiterhin zeigt sich, dass sich gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit in der (Gesamt-)Bevölkerung verringern lässt, indem:
– das Vertrauen in den Staat sowie in die Demokratie gefördert wird.
– die Kriminalitätsfurcht der (Stadt-)Bevölkerung verringert wird und
– Nachbarschaften als Orte der Zusammenkunft gefördert werden.
– es lokale, rechtsextremismusablehnende Vorbilder gibt.
Den abschließenden Schwerpunkt des Vortrags bildete die Rolle der Kommunen, insbesondere im Hinblick auf ihre Steuerungsaufgaben, also die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Ämtern und die Herausforderungen bei der Umsetzung gemeinsamer Präventionsstrategien. Zur kommunalen Rechtsextremismusprävention empfahl Sebastian Kurtenbach einen verzahnten Ansatz zwischen gesamtstädtischen und quartiersbezogenen Vorgehensweisen.
In diesem Zusammenhang wurden gemeinsam mit dem anwesenden Zuhörer*innen aus den Bereichen Gemeinwesenarbeit, Stadtverwaltung und Jugendhilfe Erfahrungen und Möglichkeiten kommunaler Arbeit im Kontext des Rechtsextremismus diskutiert. Die Teilnehmer*innen des Vortrags wurden darum gebeten, aus ihrer Sicht erfolgsversprechende Strategien zur kommunalen Rechtsextremismusprävention in den Chat des Zoom-Meetings zu schreiben.
Die Ergebnisse dieses Brainstormings lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Langfristigkeit und Personalressourcen
Nachhaltige Präventions- und Beteiligungsarbeit lässt sich nicht kurzfristig umsetzen, sondern erfordert eine langfristige Perspektive. Wesentlich ist dabei, dass ausreichend erfahrenes und qualifiziertes Personal zur Verfügung steht – sowohl für die Projektentwicklung als auch für die kontinuierliche Umsetzung vor Ort. Die Verstetigung von Personalressourcen ist ein zentraler Erfolgsfaktor für langfristige Maßnahmen.
Politische Bildung und Jugendbeteiligung
Ein zentrales Ziel zur kommunalen Radikalisierungsprävention mit Schwerpunkt Rechtsextremismus ist die Stärkung der politischen Bildung und Partizipation junger Menschen. Die Kommunalwahl sollte aktiv thematisiert werden – etwa durch Projekte, Workshops und Diskussionen –, um politische Teilhabe frühzeitig zu fördern. Die U16-Wahl bietet eine niedrigschwellige Möglichkeit, demokratische Prozesse erlebbar zu machen und junge Menschen für politische Teilhabe zu begeistern. Darüber hinaus ist die strukturelle Beteiligung von Jugendlichen an politischen Entscheidungsprozessen wünschenswert – etwa durch ihre Einbindung in Jugendhilfeausschüsse, was einen wichtigen Schritt zur demokratischen Mitgestaltung auf kommunaler Ebene darstellen kann. Nicht übersehen werden darf jedoch, dass Menschen in der demografischen Mitte, also zwischen 35 und 55 Jahre, vermehrt menschenfeindliche Einstellungen äußern. Daher braucht es neue Ansätze der politischen Bildung auch für Erwachsene.
Vernetzung und Koordination
Eine stärkere Vernetzung der relevanten Akteur*innen im Feld ist notwendig, um Synergien zu erkennen und zu nutzen. Dies betrifft insbesondere die Koordination und Abstimmung zwischen Trägern, Behörden und zivilgesellschaftlichen Initiativen. Positive Erfahrungen zeigen, dass lokale, behördenübergreifende Bündnisse – etwa im Bereich der Kriminalprävention – eine wirksame Struktur für die Zusammenarbeit darstellen können. Solche Bündnisse sollten weiter ausgebaut und verstetigt werden.
Kooperation mit Zivilgesellschaft und Schulen
Die Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Akteur*innen ist dort zu stärken, wo gemeinsame Interessen bestehen und Ressourcen sinnvoll gebündelt werden können. Auch die Einbindung von Schüler*innenvertretungen und entsprechenden Netzwerken eröffnet Möglichkeiten, junge Menschen aktiv in gesellschaftliche Prozesse einzubeziehen und ihre Perspektiven frühzeitig zu berücksichtigen.
Sozialräume und Dialog
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Gestaltung jugendgerechter öffentlicher Räume. Es braucht mehr nicht konsumorientierte Aufenthaltsorte, an denen sich junge Menschen aufhalten, begegnen und austauschen können. Gleichzeitig gilt es, Räume für einen ernstgemeinten, offenen Dialog zu schaffen. Jugendliche sollten in ihren Perspektiven ernst genommen werden und die Möglichkeit erhalten, sich aktiv und gestaltend an gesellschaftlichen und politischen Diskussionen zu beteiligen.
Wenn Sie sich für weiterführende Literatur, die Arbeit von Sebastian Kurtenbach, für die Rolle lokaler Räume im Kontext von Radikalisierung und Radikalisierungsprävention oder für Ansätze zur Verbindung von Wissenschaft und Praxis in der Konfliktlösung interessieren, empfehlen wir Ihnen folgende Links:
Homepage von Sebastian Kurtenbach: https://sebastiankurtenbach.de/
Personenprofil von Sebastian Kurtenbach auf der Homepage der Fachhochschule Münster: https://www.fh-muenster.de/legacy/person.php?p_id=10495
Weitere Informationen zum Projekt „Novellierung des lokalen Aktionsplans gegen Rechtsextremismus in Dortmund“ der Fachhochschule Münster: https://www.fh-muenster.de/legacy/projekt.php?anzeige=projekt&pr_id=1190
Weitere Informationen zum Verbundprojekt „Radikalisierende Räume“ (RadiRa) der Universität Bielefeld und der Fachhochschule Münster: https://radikalisierende-raeume.de/
Weitere Informationen zum Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) der Universität Bielefeld: https://www.uni-bielefeld.de/zwe/ikg/
Weitere Informationen zur Konfliktakademie der Universität Bielefeld „ConflictA“: https://conflict-a.de/
Weiterführende Literatur
Kurtenbach, S. (2024). Soziologie der Nachbarschaft: Befunde zu einer komplexen Selbstverständlichkeit. Frankfurt a.M.: Campus. Verfügbar unter: https://www.campus.de/e-books/wissenschaft/soziologie/soziologie_der_nachbarschaft-18117.html
Küchler, A., Musyal, S. (2022): Rechtsextremismus und Raum: Aktuelle räumliche Perspektiven zur Analyse extrem rechter Erscheinungsformen. Beitrag III in der Schriftenreihe „Radikalisierende Räume“. Verfügbar unter: https://radikalisierende-raeume.de/wp-content/uploads/2022/07/Schriftenreihe_RadiRa_Raeumlichkeit_und_Rechtsextremismus.pdf
Mullis, D., Miggelbrink, J. (Hrsg.) (2022): Lokal extrem Rechts: Analysen alltäglicher Vergesellschaftungen. Bielefeld: transcript Verlag. Verfügbar unter: https://www.transcript-verlag.de/978-3-8376-5684-8/lokal-extrem-rechts/?c=310000103&number=978-3-8394-5684-2
Müller, E., Linßer, J., Kurtenbach, S. (2024): Leitfaden zur Entwicklung eines kommunalen Handlungskonzepts der Radikalisierungsprävention. Verfügbar unter: https://www.ufuq.de/online-bibliothek/leitfaden-zur-entwicklung-eines-kommunalen-handlungskonzepts-der-radikalisierungspraevention/
Quent, M., Schulz, P. (2015): Rechtsextremismus in lokalen Kontexten. Vier vergleichende Fallstudien. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Quent, M. (2023): Lokalismus und Antiglobalismus: zur Bedeutung von Räumen für die zeitgenössische äußerste Rechte, in: IBA Thüringen (Hrsg.): StadtLand Perspektiven: Für eine neue Raumkultur, M Books, Berlin & Leipzig, S. 65-76.
Zick, A., Küpper, B., Mokros, N. (Hrsg.) (2023): Die distanzierte Mitte. Rechtsextreme und demokratiegefährdende Einstellungen in Deutschland 2022/23. Bonn: Dietz. Verfügbar unter: https://www.fes.de/referat-demokratie-gesellschaft-und-innovation/gegen-rechtsextremismus/mitte-studie-2023
Schlagwörter
- Prävention
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