Ethische Herausforderungen in der Forschung zur extremen Rechten
von Paul Erxleben
Wie sollten Forschende im Bereich des Rechtsextremismus mit ethischen Herausforderungen umgehen? Welche Rolle spielen Sicherheitskonzepte, institutionelle Leitlinien, Reflexivität, Macht, Emotionen, Supervision und Aspekte wie Self Care bei deren Bewältigung? Diese Fragen standen im Zentrum einer Podiumsdiskussion auf der internationalen Konferenz „Dimensions of Right-Wing Extremism in Europe“. In diesem Rahmen kam der Wunsch zur Sprache, einer Individualisierung von Problemen, die sich für Forschende in der Auseinandersetzung mit der extremen Rechten ergeben, entgegenzuwirken und nach kollektiven und institutionalisierten Lösungen dafür zu suchen.
An der Diskussion auf der internationalen Konferenz des Wissensnetzwerks Rechtsextremismusforschung (Wi-REX) vom 13. bis 15. Februar in Bielefeld waren vier Forscherinnen beteiligt. Das Gespräch über ethische Herausforderungen in der Forschung zur extremen Rechten fand in englischer Sprache statt und soll aufgrund seiner großen Relevanz für alle in diesem Bereich Forschenden hier wiedergegeben werden.
Anja Schmidt-Kleinert, vom Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) und selbst seit Jahren im Bereich Demokratietheorie und Radikalisierung tätig, stellte zunächst die Diskutantinnen vor: Audrey Gagnon forscht als Postdoc am Center for Research on Extremism (C-REX) an der Universität Oslo zur Normalisierung der extremen Rechten im internationalen Vergleich; Michaela Köttig, Professorin für Grundlagen der Gesprächsführung, Kommunikation und Konfliktbewältigung an der Frankfurt University of Applied Sciences (UAS), veröffentlichte zuletzt zum Themenfeld Soziale Arbeit und Rechtsextremismus mit besonderem Fokus auf Geschlechterverhältnisse; Katharina Leimbach ist kritische Kriminologin und Projektleiterin am IKG mit Fokus auf Radikalisierung sowie Mitglied der Ethik-Kommission der Universität Bielefeld.
Nach der Vorstellung umriss Anja Schmidt-Kleinert die titelgebenden Herausforderungen: Wie alle Wissenschaftler:innen dürften auch Forscher:innen im Themenfeld extreme Rechte ihre Interviewpartner:innen nicht schädigen. Allerdings wären sie wesentlich häufiger mit strafbaren Handlungen konfrontiert und fänden sich daher besonders oft in ethischen Dilemmata wieder. Sie verwies auch auf die Ethik-Kommissionen an den verschiedenen Forschungseinrichtungen, die für die spezifische Problemlage sensibilisiert werden müssten.
Anschließend gaben die Diskutantinnen kurze Inputs. Audrey Gagnon betonte die emotionalen und physischen Herausforderungen insbesondere für investigativ arbeitende weibliche Forscherinnen im Bereich der Rechtsextremismusforschung. Infolge von Veröffentlichungen würden sie häufig online verfolgt und bedroht. Sie machten oft rassistische und misogyne Erfahrungen und fühlten sich im Feld häufig unwohl und unsicher. Dabei hätten sie teilweise auch Angst vor dem Verlust des Feldzugangs, wenn sie sich beispielsweise aufgrund von Bedrohungen zurückziehen. Demgegenüber stünden meist keine Protokolle oder Leitlinien der Forschungsinstitutionen. Daher untersucht Audrey Gagnon in ihrem laufenden Forschungsprojekt bestehende guidelines: Wie sicher werden Arbeitsplätze eingerichtet? Welche Sensibilisierungen finden statt? Wo befinden sich Räume, um Belastungen zu teilen? Effektive Maßnahmen müssen hierbei nicht teuer sein. Oft bereitet eine Risikoeinschätzung im Vorfeld eine gute Basis. Auf dieser kann entschieden werden, ob es spezifischer Instrumente wie Sicherheitstrainings, auch im digitalen Raum, bedarf. Im Sinne der Prävention plädierte die Forscherin dafür, die Vorgesetzen zu trainieren, Traumata zu erkennen und anzugehen bzw. Coping-Strategien in der Hinterhand zu haben.
Michaela Köttig betonte, dem Aufstieg der Rechten folgten Angriffe auf Forscher:innen, v.a. wenn sie zu feministischen und antirassistischen Themen arbeiteten. Diese Angriffe richteten sich jedoch nicht nur gegen Personen, sondern ebenso gegen Institutionen, und sie erfolgten online wie auch offline. Die Professorin sieht die Notwendigkeit, dass Institutionen Schutzkonzepte entwickeln. Aus ihrer persönlichen Erfahrung beim Führen biographischer Interviews mit rechten Akteuren wisse sie, dass zunächst die Gefährdung überhaupt anerkannt werden müsse. Bereits bei der Antragstellung für die Förderung der Forschungen müsse die Reflexion darüber beginnen. Nur so gebe es eine Chance auf das erforderliche Budget für Sicherheitskonzepte. Dabei solle auch überlegt werden, in welcher Weise das Forschungsprojekt und dessen Angestellte an die Öffentlichkeit gehen könnten und wer generell davon betroffen ist, wer mögliche Kooperations- und Praxispartner:innen sein könnten, Studierende etc. MichaelaKöttig empfiehlt, sich bereits früh mit Rechtsanwält:innen, Gewerkschafter:innen und Berater:innen der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus zu vernetzen. Im akuten Fall eines Angriffs auf beteiligte Forscher:innen, rät sie dazu, diese sofort aus der Schusslinie zu nehmen. Gerade dafür seien vorherige Planungen wichtig. Gleichzeitig, betont Michaela Köttig, müsse die Gefahrenlage nach Ende des Forschungsprojekts in Erwägung gezogen werden. Denn auch nach Abschluss von Forschungsprojekten bestehen Bedrohungslagen fort, sie werden mitunter sogar erst dann manifest, wenn Ergebnisse publiziert sind.
Katharina Leimbach betonte in ihrem Input die Bedeutung der Reflexivität in der Forschung. Zwar finde diese gerade zu den Gegenständen Extremismus und soziale Probleme bereits statt, doch seien die entsprechenden Maßnahmen oft oberflächlich. Ihrer Meinung nach sollte die Reflexion auf der gleichen Ebene wie die Qualitätsmerkmale empirischer Forschung verhandelt werden. Katharina Leimbach berichtete aus der Erfahrung beim Interview mit einer Gefangenen. Dort sei die Sozialarbeiterin anwesend gewesen und habe mehrfach interveniert. Hier stelle sich die Frage, wer interviewt wird bzw. werden sollte. Schließlich schaffe akademische Wissensproduktion soziale Wirklichkeit. Hier könne die Wissenssoziologie hilfreiche Reflexionsansätze bieten. Rechtsextremismus werde in Deutschland allzu oft nicht als soziales Problem analysiert, sondern als Problem von rechten, jungen, armen Männern im Osten behandelt. Nach Einschätzung von Frau Leimbach fehlten in der Rechtsextremismusforschung Studien zu Eliten, Gender und anderen sozialen Kategorien. Nötig sei weiterhin eine stärkere epistemisch fundierte Reflexion von Sympathien, Emotionen und Vorurteilen als Ressourcen in der Forschung, die Leimbach als „Analytic Reflexivity“ bezeichnet.
In der anschließenden Diskussion bezogen sich die Forscher:innen auf die verschiedenen Inputs. Audrey Gagnon betonte zunächst, die Forschung im Feld der extremen Rechten hebe sich von anderen Forschungsfeldern ab. Später unterstrich sie die Bedeutung von Self Care einerseits und institutioneller Verantwortung andererseits. Allgemein forderte Michaela Köttig, die Forscher:innen selbst sollten Sicherheits- und Ethik-Aspekte bearbeiten und dies nicht allein den Universitäten oder Forschungseinrichtungen überlassen. Konkret sollten die Wissenschaftler:innen Richtlinien erarbeiten und, so ihr dringlicher Appell, Supervisionen einfordern. Besondere Vorsicht sollten Forscher:innen walten lassen, die von der Rechten als Feinde aufgefasst werden könnten. Um dies besser einschätzen zu können, könnte ihrer Meinung nach der Vergleich von selbst erhobenen Daten mit anderen Quellen hilfreich sein. Praktisch, empfahl Köttig, sollten Fotos im Netz nicht mit Namen verbunden werden, um Shitstorms zu vermeiden. Allerdings berge das etwa bei Online-Meetings größere Schwierigkeiten. Katharina Leimbach machte darauf aufmerksam, dass es gerade zu Beginn der Karriere schwer sei, Angst und Unsicherheiten zu besprechen. Sie selbst wollte in diesem Zusammenhang – gerade als Frau – nicht als schwach oder inkompetent erscheinen. Es sei außerdem nicht hilfreich, diesen Komplex nur im Fokus auf Sicherheit zu besprechen und damit die um sich greifende Versicherheitlichung zu befördern. Insgesamt dürfe die Rechtsextremismusforschung nicht dramatisiert werden.
In der anschließenden Runde mit Fragen aus dem Publikum wurden einige der Themen um Verantwortungsträger und Forschungsbedingungen vertieft. Es hieß wiederholt, auch das internationale Netzwerk der Forschenden zur extremen Rechten müsse sich in der Verantwortung sehen. Sowohl Forscher:innen auf dem Podium wie aus dem Plenum teilten Erfahrungen, etwa zu Einladungen zu öffentlichen Veranstaltungen, und betonten, wie sinnvoll eine vorherige Rücksprache zu Sicherheitsaspekten sei. Problematisiert wurde weiterhin der Umstand, dass fast ausschließlich Frauen mit den Themen Sicherheit und Ethik befasst seien, wohingegen männliche Forscher kaum an diesen Themen arbeiteten. Intensiv wurden die ethischen Dilemmata bei verdeckten Feldforschungen diskutiert, wenn Zugang zum Feld mit Schutz von als Feinden markierten Gruppen und Menschen in Kollision gerät oder allgemein das Einverständnis zur Forschung nicht möglich ist. So berichtete eine Wissenschaftler:in von Forschungen innerhalb einer Neonazi-Gruppe, die sie sozialarbeiterisch begleitet hatte. In diesem Zuge hätte sie auch von Planungen von Anschlägen auf politische Gegner und andere Gruppen erfahren. Interessant war besonders der Widerspruch zwischen sicherheitsrelevanter Anonymität der Forschenden und der häufig von Fördermittelgebenden verlangten öffentlichen Sichtbarkeit der Forschungen.
In einer abschließenden Fragerunde gingen die Diskutant:innen auf das Thema der Reflexivität näher ein. Fragen der Macht bzw. der Positionalität der Forschenden sollten intensiver reflektiert werden. Ein Teilnehmer regte an, in Methodenkapiteln auch Emotionen zu reflektieren, die während der Forschungen, gerade im Feld, durchlebt wurden. Weiterhin betonten die Diskutant:innen auf und vor dem Podium, dass man unterscheiden müsse zwischen öffentlicher und privater Identität von Forschenden und eben nicht eine Formel auf alle Situationen passe. So bedürfe es sichtbarer Forscher:innen, die auch für Medien und Politik erreichbar sind, neben solchen, die ihre Arbeit vorwiegend verdeckt leisten. Abermals wurde das Netzwerk der Forschenden zur extremen Rechten als Akteur angerufen, um ethische Themen zu besprechen, auch männliche Kollegen dafür zu gewinnen und Nachwuchswissenschaftler:innen dafür zu sensibilisieren. Dieses Netzwerk hob auch die Diskussionsleiterin Anja Schmidt-Kleinert hervor, da es neben Institutionen und Einzelpersonen in der Verantwortung für die Sensibilisierung für ethische und sicherheitsrelevante Themen stehe, Expertisen bündele und über Ressourcen verfüge.
Insgesamt kamen in der Diskussion viele Themen zur Sprache, die alle Forscher:innen im Kontext der extremen Rechten betreffen, die aber nur selten offen diskutiert und gemeinsam verhandelt werden. Auf kluge Weise vermieden die Organisator:innen, einzig über Sicherheitsaspekte der Forschungen zu sprechen und forschungsethische Themen und persönliche Betroffenheiten auszuklammern. So konnten Erfahrungen mit Bedrohungslagen geteilt, aber auch über effiziente Strategien dagegen nachgedacht werden. Interessanterweise werden viele der genannten Aspekte in angrenzenden Berufsfeldern, wie der sozialen Arbeit und Beratung, schon länger debattiert: Sicherheitskonzepte angesichts rechter Bedrohungen, Reflexionen von Macht- und Herrschaftsverhältnissen und Fragen der Haltung sind hier bereits diskutiert, erprobt und werden fortentwickelt. Daran könnte die Forschung zur extremen Rechten produktiv anknüpfen. Wichtig für die Fortentwicklung der Rechtsextremismusforschung ist die Idee eines Netzwerks, das die Forschenden dabei unterstützt, Arbeitsbedingungen zu verbessern und dabei die Verstrickungen in Förderstrukturen und Machtverhältnisse kritisch reflektiert.
Schlagwörter
- Research approaches & methods
Veröffentlichunsdatum
Paul Erxleben
Paul Erxleben forscht an der Universität Marburg zu Beratungsangeboten im Kontext Rechtsextremismus. Er ist Mitglied des Forums für kritische Rechtsextremismusforschung und des Villigster Forschungsforums. Nach der Promotion an der Universtät Leipzig mit einem sozialphilosophischen Vergleich von Theodor W. Adorno und Michel Foucault ist er weiterhin am Institut für Sozialforschung mit Antisemitismusforschung befasst.
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